Es fehlt noch die zweite Hälfte des Wunders

Borussia Düsseldorf entriss dem TSV Bad Königshofen den ersten Matchball zum Finale

Wunder gibt es immer wieder, aber nicht auf Bestellung beim Versandhandel. Und so folgte der ersten Hälfte des Wunders mit dem 3:1-Heimsieg des TSV Bad Königshofen im Rückspiel eins bei Borussia Düsseldorf nicht gleich die zweite Hälfte, sondern eine 0:3-Niederlage. Schließlich war ja vor der Saison schon gar nicht mit dem Erreichen der Play-offs zu rechnen oder gar, dass der Underdog so einfach ins Finale nach Frankfurt stürmt. Das war zunächst so realitätsfern wie das Größenverhältnis zwischen Fränkischer Saale und Rhein und so wahrscheinlich, wie wenn die Saale ab Bad Königshofen aufwärts fließt.

Nach dem Coup vom Hinspiel reisten dann aber doch 90 TSV-Tischtennis-Fans Rhein-abwärts nach Düsseldorf, um ihre Helden vom Hexenkessel Shakehands-Arena auch im ARAG Center Court zu unterstützen. Dort staunten die zwei Lager aus verschiedenen Anlässen: Die Gäste, dass die Halle nicht einmal komplett bestuhlt und besucht war. Die Königshöfer Hallen-Atmosphäre ist ja längst in TT-Deutschland ein geschütztes Markenzeichen. Sie zu imitieren fällt allerorts schwer bis unmöglich. Wenigstens hatte man rund 100 Freikarten an Schüler verteilt und, so die Kommentatoren, einen Betriebs-Fanclub engagiert, der den Unterfranken Paroli bieten sollte.

Die Gastgeber wiederum wunderten sich über die Eindringlinge, die mit „Hier regiert der TSV“ und „Deutscher Meister wird nur der TSV“ der Szene Besitz ergriffen. Aber man lernte ungeheuer schnell dazu, übernahm die Schlachtgesänge, die, umgedichtet, auch auf Dang Qiu (1), Anton Källberg (2) und die Ikone Timo Boll (3) passten. Ja, genau so hatte der Borussen-Trainer Danny Heister, nicht ganz unerwartet, auf die Niederlage reagiert und umgestellt. „Womit wir ja eigentlich auch gerechnet hatten“, räumte der TSV-Manager Andy Albert hinterher ein. Selber trat man in der Sieger-Aufstellung an mit Ueda (1), Steger (2) und Zeljko (3).

So kam es nämlich beim Revanche-Treff nur zu einer mit dem Hinspiel identischen Paarung: im zweiten Einzel Anton Källberg gegen Jin Ueda. Also musste Basti Steger, der von 2001 bis 2006 selber mal Borusse war, gleich zum Eröffnungs-Einzel gegen den Europameister Dang Qiu, von 3 auf 1 vorgerückt, in die Box. Dang sollte den Aufstellungsfehler vom ersten Spiel korrigieren und sein Team in Führung bringen. Doch der Oberpfälzer bei den Unterfranken startete grandios, mit „Super-Basti, hey, hey“-Rufen skandiert, holte sich den ersten Satz, immer in Führung liegend, mit  12:10. Der Krimi nahm an Spannung zu, die Euphorie der „Yes-we-KÖN“- Fans ebenso: „Steht auf, wenn ihr KÖN-er seid“, kurz bevor der zweite Satz 10:12 verloren ging.

Dann bewies Steger Come-back-Qualitäten, fand immer neue Möglichkeiten, Dang vor Probleme zu stellen, holte den dritten Satz. Dann waren die bis dahin noch reservierten Rheinländer angestachelt und aufgewacht, so dass Qiu Steger den ganz, ganz nahen Satz noch klauen konnte – 8:11. Als es im fünften Satz 9:6 für Steger stand, noch zwei Bällchen zum Traumstart fehlten, zeigte Fortuna dem TSV die lange Nase. Da wurde aus Düsseldorf Duseldorf, halfen alle nur denkbaren Kanten und Roller dem Europameister zu fünf Bällen in Serie und seinem Team zum 9:11, zur vorentscheidenden 1:0-Führung.

Im zweiten Einzel, der individuellen Revanche Källberg gegen Ueda, war der Königshöfer Japaner gegen den Schweden, die Nr. 12 der Weltrangliste, keinen Deut, höchstens Nuancen weniger gut als bei seinem 3:1-Sieg am Pfingstmontag. Nur um eine Portion unglücklicher. Satz für Satz musste  er so manche Glücksmomente von dort mit durch Tisch- oder Schlägerkante und Netzroller bedingten Unglücksbällen zurückzahlen – fast schien es, doppelt zurückzahlen.

Jetzt taten jene zwei letzten Bällchen von Steger noch mehr weh – 0:2 zur Pause. Und dann würde doch dieser Timo Boll im dritten Einzel, nach der Niederlage gegen Ueda, im Rückspiel nicht schon wieder verlieren: Noch dazu im Vorfeld seiner siebten Olympischen Spiele in Paris. Wo auch sein 3-er-Gegner Filip Zeljko für Kroatien antreten wird. Filip startete unerwartet stark ins Match, führte im ersten Satz 10:7, um ihn dann doch noch nach vier Satzbällen mit 11:13 abzugeben. Danach hatte er, trotz „Auf geht’s, Filip, auf geht´s“ keine Chance mehr.

„Es hätte auch etwas anders laufen können, wenn ich gegen Dang bei 9:6 im fünften Satz gewinne und wir in Führung gehen“, nahm sich Basti Steger mit in die Verantwortung trotz seiner überragenden Leistung. „Dann wäre der Druck auf die enorm gestiegen. Das hätte dem Spiel eine ganz andere Richtung geben können. Es ist aber nichts passiert, beginnt nur wieder von vorne“: Am Sonntag, um 13 Uhr, selbe Stelle, bekommt das TT-Wunder eine zweite Chance. Vielleicht geschieht es, vielleicht bleibt aber auch die Hierarchie in TT-Deutschland erhalten.

 

 

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