Sportlicher Leckerbissen mit Vier-Gänge-Menü

David Bad Königshofen schlägt Goliath Düsseldorf im ersten Play-off-Halbfinalspiel – Aber: total ausgeglichen und dann völlig losgelöst

Bad Königshofen  Ja, natürlich war er dabei, beim ersten Play-off-Spiel um die deutsche Meisterschaft. Diese Frage, ob Timo Boll mitspiele, wenn der 33-fache Deutsche Meister beim Underdog antritt, stellte sich vor sieben TTBL-Heimspielen, die der TSV Bad Königshofen gegen Borussia Düsseldorf alle verlor. Natürlich sei man vorgewarnt genug gewesen, so die Lichtgestalt des deutschen Tischtennis. Natürlich kamen die Borussen mit voller Kapelle, mit fünf Olympiateilnehmern demnächst in Paris. Unnatürlich deshalb, dass die Grabfelder dennoch den Rheinländern gleich im ersten von zwei oder drei Play-off-Spielen reinen Wein einschenkten und sie mit einer 1:3-Niederlage von der Saale an den Rhein zurück schickten.

Von Druck war allenthalben die Rede im Vorfeld. Und danach gab dieser unglaublich normale und sympathische Welt-Star im Gespräch mit dem ebenso rüber kommenden Hallensprecher Jochen Breyer vom ZDF-Sportstudio dem Publikum zu Gehör: „Druck haben wir immer, egal gegen wen und bei welchem Spielstand. Den macht man sich, wenn man dem Gegner den nötigen Respekt entgegen bringt, was hier selbstverständlich war. Es hat sich mehr zu Stress entwickelt, für den ihr Fans und eure Spieler gesorgt haben.“ Dass ihm nach diesem öffentlichen Interview das Volk mit nicht enden wollenden „Timo-Timo“-Rufen huldigte, als sei er ein Einheimischer, brachte die gesamte Stimmung dieser relativ historischen, sensationellen Veranstaltung mit Kult-Status auf den Punkt.

Bei der alle über sich hinauswuchsen, besonders Jin Ueda, der beide Einzel gewann. Und das traditionell hilfreiche Publikum, dem die 70 ehrenamtlichen Helfer ein meisterliches Ambiente hin gezaubert hatten. In euphorisierende Worte gepackt vom Hallensprecher-Duo Jürgen Halbig, Eigengewächs, und Jochen Breyer, einem speziellen Freund der Badestadt und ZDF-EM-Moderator.

Neongelbe Farbtupfer ins Publikum brachten die extra für das Highlight kreierten Play-off-2024-T-Shirts mit dem Aufdruck „Yes wie KÖN.“ Wobei ein TT-Schläger mit zwei Bällen das Ö zeichneten. Keiner der rund 900 Zuschauer und Akteure kam an dieser Stimmung vorbei, die es laut Boll, Källberg und Dang Qiu nirgendwo sonst gebe. Was vom Discjockey nicht eh schon aufgelegt wurde, intonierten Kreative aus dem Publikum, federführend die Orangenen vom Fan-Club Ping-Pong-Ultras. Die Düsseldorfer können sich fürs Rückspiel am Donnerstag aus was gefasst machen. Bezeichnend jedoch für das gute Verhältnis der beiden Clubs, dass die Team-Boxen des TSV und der Borussia nicht diametral entfernt, sondern direkt nebeneinander eingerichtet waren.

Und zum sportlichen Teil: In allen vier Einzeln ging der erste Satz an die Gäste. Drei Mal schlugen die Gastgeber erfolgreich zurück. Auf welch gleicher Augenhöhe belegen diese Zahlen: 181:182 Bälle erbrachten 10:8 Sätze und 3:1 Spiele für den TSV. Mit einem Paukenschlag begann die dann 03:40 Stunden dauernde Veranstaltung mit der Partie von Jin Ueda, der bis dahin eine knapp positive Bilanz vorzuweisen hatte, gegen Timo Boll, der von Coach Danny Heister an 2 gesetzt war. Schon was im ersten Satz da von 6:10 bis 10:10 und dann doch 10:12 abging, machte Appetit auf den folgenden sportlichen Leckerbissen mit Vier-Gänge-Menü. Und es begann gleich mal mit einem Fünf-Satz-Krimi – einer 1:0-Führung für jene, die „die Jungs vom Rhein nur ein bisschen ärgern“ wollten.

Mit musikalischer Umrahmung von Gassenhauern wie „Wenn nicht jetzt, wann dann“ bis „An Tagen wie diesen“ wurde die Stimmung hoch gehalten, aber auch durchs Sportliche. Denn bei Steger gegen Källberg (Nr.12 der Weltrangliste) entwickelten sich die fünf Sätze noch dramatischer. Wobei der TSV-Leitwolf seine zwei Verlust-Sätze „normal“ (7:11/7:11) verlor, die drei anderen gewann mit 12:10/14:12, mit dem siebten Satzball/14:12, nach Abwehr eines Matchballs mit seinem vierten Matchball. Noch gleicher geht Augenhöhe nicht – und ein Schuss Glück gehört eben auch dazu. Und die nötige Resilienz, sich nach Negativserien im Spielverlauf wieder mental zu regenerieren.

Doch wen hatte denn Düsseldorf da an 3 gegen Filip Zeljko aufgeboten: Keinen Geringeren als den Europameister Dang Qiu, WRL-10.! Der Königshöfer liebster Filip ging ans Limit, riss auch den dritten Satz noch aus dem Feuer, musste sich dann aber ehrenvoll doch noch beugen. Und Kollege Jin Ueda ins Rennen gegen Källberg schicken. Vermutlich hätte an einem Tag wie diesem einer der großen Chinesen kommen müssen, um ihm die Grenzen abzustecken. Dabei waren alle vier Sätze bis 8 oder 9 total ausgeglichen, bevor „Völlig losgelöst“ und „Deutscher Meister wird nur der TSV“ vom 900-Stimmen-Fischerchor gesungen wurden.

Ueda – Boll 3:2 (10:12/13:11/6:11/11:7/11:6)

Steger – Källberg 3:2 (7:11/12:10/14:12/7:11/14:12)

Zeljko – Qiu 1:3 (8:11/7:11/12:10/8:11)

Ueda – Källberg 3:1 (8:11/11:9/11:8/11:8)

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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort

  • Stefan Müller, Abteilungsleiter TT des RSV Frickenhausen
    2024-05-22 18:50

    Ein einmaliges Erlebnis und eine sagenhafte Werbung für den Tischtennissport.
    Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass sportliche Höchstleistung, Fairness, gegenseitiger Respekt, geerdeter Profihabitus und perfekte Vereinsarbeit verschmolzen werden können, der war in Bad Königshofen genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
    Vielen Dank, dass wir dabei sein durften!

    Antworten

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