Statt Tischtennis die Ehefrau aus der Ukraine gerettet

Amateure

Christoph und Vladyslava Schüller schlossen sich an der polnisch-ukrainischen Grenze in die Arme

Bad Königshofen (rd) Christoph Schüller aus Kleinbardorf ist Spielführer der Tischtennis-Regionalliga-Mannschaft des TSV Bad Königshofen II. Er lebt und arbeitet in Wien und ist gewöhnlich an manchen Wochenenden unterwegs in Sachen Tischtennis: in Bayern, Thüringen und Sachsen. Am vergangenen Samstag gegen den Tabellenletzten und am Sonntag beim Ersten musste sein Team ohne ihn antreten. Den Grund kannte zunächst kaum jemand. Er kämpfte an einer anderen Front, holte seine Frau Vladimira aus dem ukrainischen Kriegsgebiet zurück. Über deren und seine Erlebnisse berichtete er dieser Redaktion in einem Gespräch.

Christoph (29) und Vlada Schüller (27) lernten sich während ihres Studiums in Prag kennen. Er ist von Beruf Investment-Analyst, sie Finanz-Analystin. Verheiratet sind sie seit Mai 2020, im März 2020  waren sie nach Wien umgesiedelt. Am Montag vor einer Woche, den 21. Februar 2022, flog Vlada in die Ukraine, ihre Familie zu besuchen. „Noch einmal“, fügt sie hinzu, in Befürchtung dessen, was auch eintreffen sollte als Folge des Bedrohungs-Szenarios der Russen entlang der Grenze, der Überfall auf die Ukraine. Geplant war ihr Rückflug für Freitag. Aber am Donnerstag brach der Krieg aus. „Da fand der Angriff der Soldaten aus dem anderen Land statt“, schaltet sich Vlada immer wieder aufgeregt ins Gespräch ein. Das Wort „Russland“ oder „Russen“ gebraucht sie nicht. Ihre Betroffenheit weist zwei Tage nach ihrer Rückkehr nach Wien traumatische Zustände auf.

Christoph erinnert sich: „Ich bin am Donnerstag früh aufgewacht, dann ging´s los. Auch er, der Besonnene, Strukturierte, spricht mit ganz anderem Tempo und Lautstärke als sonst. Vladas Heimatstadt Krywji Rogh, die längste Stadt der Welt mit über 100 km Ausdehnung, hat einen Militär-Flughafen und stand bereits unter Beschuss. Per Handy war das Ehepaar über die gefährliche Entwicklung in Kontakt. „Ich habe ihr sofort geraten, raus, sofort raus, irgendwie ins Auto und los. Aber Vlada hat kühleren Kopf behalten als ich.“ Die Strecke aus der Süd-Ost-Ukraine zwischen der Krim und dem Donbas bis rauf nach Polen, rund 1200 km, sei zu weit und es wurde von endlosen Staus berichtet, so dass mit drei Tagen zu rechnen sei. „Und es gibt Plünderer, welche die Autos im Stau überfallen und ausrauben, weil die Leute viel Bargeld mitnehmen“, trägt sie bei. „Die Leute haben doch Hab und Gut mitgenommen.“

Davon hat man hier in den Medien noch gar nichts mitbekommen. Vlada kam glücklicherweise an Tickets für einen der Evakuierungszüge nach Lwiw (Lemberg), nahe der polnischen Grenze. Ihre Mutter konnte sie überreden mitzugehen. Die beiden nahmen noch eine junge Frau mit einem Baby mit. „Es war wie göttliche Fügung. So konnten wir gleich zu viert gerettet werden. Alleine hätte es wohl keiner von uns gewagt.“ Ihr Vater (58) durfte und wollte auch nicht mit. Er blieb bei Vladas gehbehinderten Großeltern und muss sich beim Militär melden.

Oberste Prämisse war Richtung Westen, raus aus der Gefahrenzone und nicht durch Kiew. Vlada entschied sich auch deshalb für die Bahn, weil die nicht vor der Grenze, sondern erst in Polen halten sollte. Neu planen mussten die Flüchtlinge, als es hieß, die Züge fahren nur bis Lemberg und dann wieder zurück, um noch mehr Leute raus holen zu können. „Zu dem Zeitpunkt“, so Christoph Schüller, „war ich schon in Polen, war am Samstag früh um fünf Uhr losgefahren. Dann erfuhr er von Vlada, dass man sich nicht an dem vereinbarten Bahnhof in Polen würde treffen können. Während seine Frau schon neue Pläne schmiedete, wie sie die Gruppe raus bringen könne. Wieder hatte sie Glück, kam an Tickets für einen Bus. Aber, „überall entstand Panik, die Leute drehten durch. Es waren auch viele Männer dabei, ausländische Studenten und Arbeiter. Alle mussten erst kontrolliert werden, keiner kam ohne Ausweis durch.“

Die Verzögerung zwang Christoph, 200 km ins Landesinnere Polens zu fahren, weil bis dahin alle Hotels ausgebucht waren von Leuten, die ihre Bekannten abholen wollten. „Nachts stellte ich mein Handy auf Alarm, um keinen Anruf zu verpassen. Ich wusste ja nicht, wann Vlada rüber kommen würde.“ Und sie erzählt: „Mit dem Bus ging es sehr, sehr langsam vorwärts. Vor uns waren etwa 70 Busse. Pro Tag wurden aber nur 20 durch gelassen, weil jede Person kontrolliert wurde.“ Deshalb entschlossen sie sich, mit dem Baby auszusteigen, weil man zu Fuß schneller vorwärts kam als mit dem Bus.

„Es war alles sehr chaotisch“, berichtet Christoph von seiner Suche nach dem Sammelpunkt hinter der Grenze auf polnischer Seite. „Es gab keinerlei Hinweisschilder, kein Polizist sprach Englisch. Deshalb fuhr ich einfach Richtung Grenze, um mich anhalten zu lassen. So erfuhr ich per Zeichensprache und Google Maps, wo der Sammelpunkt zu finden war. Bis zu dem Vlada mit ihrer Fußgruppe, bei Schnee- und Graupelschauern und eisiger Kälte, acht Stunden brauchte. „Es gab viele Kinder, die weinten und wieder nach Hause wollten.“  Am Sonntag Abend um 21 Uhr kam es dann zum Treffen, zur ewigen Umarmung und bedeutendsten Szene ihres bisherigen Ehelebens. An der Stelle stockt das Gespräch für einige Momente. Dann: „Wir sind ins Hotel nach Krakau gefahren für ein paar Stunden Schlaf. Und am frühen Montagmorgen brachen wir auf, quer durch Polen und Tschechien bis herüber nach Wien.

Beim Erzählen dieser Fluchtgeschichte am Dienstagabend waren die beiden noch weit von der Normalität entfernt. Von Abschalten keine Spur. Vlada berichtet noch ganz aufgewühlt von mehreren Freunden in der Ukraine, die beide kennen gelernt haben. „Die haben sich freiwillig gemeldet, werden in den Krieg ziehen, unser Land verteidigen helfen. Noch hat man genug ausgebildete Soldaten. Deshalb stehen sie erst als Reserve bereit.“ Während Christoph beschäftigt: „Ich kann dir sagen, was man bei uns im Fernsehen sieht, ist noch harmlos. Die Realität ist zehn mal schlimmer. Es ist wirklich schmutzig, wie der Krieg unschuldige Zivilisten rein zieht.“

In einer E-Mail reichten Christoph und Vlada Schüller dem Gespräch noch nach: „Eine Sache ist uns noch sehr wichtig: Wir möchten die Leute über diesen Artikel bitten, dass sie Hilfe leisten. Denn jede Form der Hilfe, auch wenn sie noch so als klein erachtet wird, ist ein Schritt, den Menschen zu helfen und ihr Leid zu mildern.“