Interview: Timo Boll über Olympia und die Partie in Bad Königshofen

TTBL

Timo Boll, 40, und die Freude am Tischtennis-Sport

Bad Königshofen (rd) Der Deutsche Tischtennis-Meister, Pokal- und Championsleague-Sieger Borussia Düsseldorf tritt am Dienstagabend um 19 Uhr beim TSV Bad Königshofen an. Vor dem Spiel führten wir mit seinem Spitzenspieler Timo Boll dieses Interview.

Hallo Herr Boll! Die Tischtennis-Region Unterfanken ist gespannt: Darf man damit rechnen, dass Sie am Dienstag zum dritten Mal in der Shakehands-Arena im Trikot von Borussia Düsseldorf einlaufen werden?

Timo Boll: „Ich bin zumindest geplant, sofern ich fit bin. Ich komme auch immer wieder gern nach Bad Königshofen, habe dort schon tolle Spiele und tolle Stimmung erlebt. Freilich wird’s diesmal anders sein. Aber es dürfen wenigstens ein paar Fans zuschauen, dadurch fällt es uns Spielern auch leichter. Es ist immer ein schweres Duell für uns und deshalb müssen wir in Bestbesetzung antreten.“

Sie sind bis auf neun Tage genau so alt wie ihr Kumpel Bastian Steger vom TSV Bad Königshofen. Ist der Jahrgang 1981 ein so guter oder was muss passen, dass man so lange seinen Sport auf diesem Niveau ausüben kann?

Boll: „Der Baschterl fasziniert mich immer wieder und ich habe das Gefühl, er ist noch wesentlich geschmeidiger als ich. Wir beide nehmen den Sport immer sehr ernst und seriös, haben uns immer diszipliniert verhalten und immer fit gehalten. Deshalb können wir auch so lange spielen und ich denke, man sieht uns den Spaß auch an. Das ist auch das Wichtigste, um gute Leistungen auf hohem Level zu bringen.“

Sie hatten 2015 bis 2017 eine langwierige Verletzung. Dass Sie wieder so stark zurückgekommen sind, kann vielen Sportlern wie bei Ihnen, damals Mitte 30, Mut machen. Wie haben Sie das geschafft?

Boll: „Als Leistungssportler muss man sich halt immer wieder anpassen an neue Gegebenheiten. Nach der Knieoperation musste ich mein Training umstellen. Nach den Rückenproblemen habe ich immer wieder neue Lösungen gesucht und auch meistens gefunden. Man darf halt nicht immer am alten System festhalten, sondern immer wieder neue Wege finden, um das Level mitgehen zu können.“

Sie haben in Ihrem Leben ungeheuer viel erreicht. Dennoch stand noch ein Ziel offen. Hat man Ihnen das in den Mund gelegt oder wollten Sie tatsächlich noch bei den Olympischen Spielen in Tokio eine Einzelmedaille gewinnen?

Boll: „Klar, wenn man an Olympia teilnimmt, dann träumt man ja doch immer davon, eine Einzelmedaille zu gewinnen. Ich war ja auch gut in Form, habe drei Wochen vorher die EM gewonnen. Die Auslosung war dann aber doch bitter, dass ich im Viertelfinale auf Fan Zhendong treffen würde, gegen den ich noch nie gewonnen habe. Und auch der Koreaner Jung Young sik war mit das Schwerste, was kommen konnte. Das hat sich dann auch bewahrheitet. Ich war noch nicht einmal schlecht. Aber er hat immer eine gute Lösung gefunden. Im Nachhinein denkt man, man hätte etwas anders machen können. Aber ich habe alles probiert, es hat nicht geklappt. Dann kann ich damit auch gut leben, wenn der andere an dem Tag einfach stärker war. Dann habe ich auch den Respekt vor meinem Gegner. Ich habe mich aber auch sehr über die Team-Silbermedaille gefreut. Ich denke, ich habe meinen Beitrag dazu geleistet, alle meine Spiele im Einzel und Doppel gewonnen bis zum Finale, auch schwere und wichtige. Von daher denke ich, dass ich gut drauf und in der Vorbereitung alles richtig war. Wenn ich in der Mannschaft ein wichtiges Spiel verloren hätte, dann hätte mir das mehr weh getan als im Einzel. Da bin ich nur für mich selbst verantwortlich. In der Mannschaft ist es schöner, zusammen zu gewinnen, und härter, zusammen zu verlieren.“

Nach vorher schon fünf Teilnahmen an Olympischen Spielen hätten Sie eine Absage doch sicher am entspanntesten verkraftet oder täuscht das? Hielten Sie die Durchführung für richtig oder eher kritisch?

Boll: „Man hat ja nie gewusst, ob sie sicher stattfinden werden. Ich habe mich auch zurückgehalten, weil man nicht genau weiß, wie das hinter den Kulissen aussieht, welche Kosten entstehen, wie das Konzept war. Ich habe mich seriös vorbereitet, als wenn sie stattfinden. Für diejenigen, die so lange dafür gearbeitet, viel geopfert, Beruf und Studium zurückgestellt haben, bin ich aber schon froh, dass sie stattgefunden haben, auch ohne Zuschauer. Da wären sonst viele Lebensträume zunichte gewesen. Ich war in der luxuriösen Situation, schon fünf Mal dabei gewesen zu sein. Für mich wär´s nicht ganz so dramatisch gewesen. Am Ende konnten wir auch etwas Sport- und Tischtennis-Euphorie rüber bringen.“

Wie haben Sie Olympia unter dem Damokles-Schwert von Corona erlebt? Sightseeing oder Kontakt mit der Bevölkerung waren ja nicht möglich.

Boll: „Vieles war viel steriler als sonst. Wir wurden angehalten, wenig Kontakt mit anderen Sportlern, auch Sportarten, zu suchen. Ein bisschen gab´s mit den Handballern auf unserem Flur. Das sind gute Jungs, mit denen man viel Spaß haben kann. Aber sonst durften wir zu keinen Events und das Olympische Dorf nicht verlassen. Wir haben aber eh von Anfang bis Ende gespielt und da ist man immer konzentriert auf seinen eigenen Wettkampf. Von daher war man in seiner normalen Routine wie bei einem normalen Turnier.“

Sydney 2000 als 19-Jähriger, dann Athen, Peking, London, Rio und mit 40 Tokio. Was ist gleich geblieben an Olympischen Spielen, was hat sich am meisten verändert?

Boll: „Die Vorfreude auf die ersten war am größten. Das war ein besonderer Moment, als man sich zum ersten Mal qualifiziert hatte. Da war alles neu, alles super spannend. Das war unvergleichlich. Sydney war auch toll für mich, mal ein komplett anderer Kontinent, den ich gar nicht kannte. Das war eine tolle Reise, auch in die Outback. Ich habe für meine Verhältnisse damals gut gespielt, einen Top-10-Spieler geschlagen. In Athen habe ich im Viertelfinale gegen Waldner verloren, die Chance auf eine Einzelmedaille verpasst. Es war die härteste Niederlage in meiner Karriere, weil ich ihn kurz vorher geschlagen hatte und nachher wieder. Peking, tolles Erlebnis in dem Tischtennis-Land. Schöne Stimmung auch in London. Rio noch ´ne Medaille und jetzt mit 40 noch eine zu gewinnen, das hätte ich mir nie träumen lassen. Insofern hat sich nicht so viel verändert. Es prickelt aber schon jedes Mal vor Olympischen Spielen.“

War´s das mit Olympia oder liegt Paris doch nur noch knapp drei Jahre entfernt?

Boll: Auf der einen Seite ist Paris nicht weit weg. Auf der anderen Seite sind mit 40 drei Jahre sehr lang, länger als für einen 20-Jährigen. Deshalb würde ich mich darüber freuen, wenn ich es noch schaffen könnte. Ich will´s nicht komplett ausschließen. Auf der anderen Seite hoffe ich auch, dass mich irgendwann mal ein jüngerer deutscher Spieler ablöst. Ich habe weiterhin Spaß am Sport und sehe mich nicht gezwungen aufzuhören. Wenn´s für Paris reicht, wäre toll. Wenn nicht, geht für mich auch einmal ein anderes Leben los. Da freue ich mich auch drauf. Wann, das steht noch nicht fest. Das muss ich einfach persönlich spüren.“

Nimmt man dazu die vielen Teilnahmen an WM, EM, der Championsleague u.s.w. Wie bringt man die Motivation auf, an einem Dienstagabend in Bad Königshofen Tischtennis zu spielen?

Boll: „Motivation ist der Spaß an dem Sport. Mir macht auch ein Trainingsmatch sehr viel Spaß. Da kann ich nervös werden, weil ich da auch unbedingt gewinnen will. Der Ehrgeiz ist einfach in mir drin. Auf der anderen Seite sehe ich es nicht zu verbissen und das ist, glaube ich, eine gute Kombination, um nicht ausgelaugt zu sein und weiterhin Freude am Spiel zu haben. Mit dieser Einstellung bin ich die letzten Jahrzehnte gut gefahren.“

Vielen Dank und weiterhin – viel Spaß!

 

Wer ist eigentlich Timo Boll?

Unter normalen Bedingungen hätten sie locker statt der genehmigten 250 Karten das Fünffache oder mehr für das heutige Highlight verkaufen können, die Tischtennis-Macher beim Bundesligisten TSV Bad Königshofen. Seit der Spielplan für die neue Saison steht, heißt es in der Kleinstadt und der Region „Wann kommt Düsseldorf?“ und dann gleich „Ist Boll dabei?“ Borussia Düsseldorf, seit 2006 mit Timo Boll, ist u.a. 32-facher Deutsche Meister. Aber wer ist eigentlich Boll?

Es ist der bisher erfolgreichste deutsche Tischtennisspieler aller Zeiten. Er war drei Mal (2003, 2011 und 2018) die Nr. 1 der Weltrangliste, so dass ihn sich sogar die Chinesen einmal in ihre Super League holten. Er gilt im Land des Tischtennis-Dauerweltmeisters als einer der populärsten Deutschen überhaupt. Boll ist einer der klügsten Taktiker und zudem durch sein Fairplay bekannt. Er nahm an sechs Olympischen Spielen teil und trug 2016 in Rio die deutsche Fahne bei der Eröffnungsfeier. Neben fünf olympischen und acht WM-Medaillen gewann er acht Mal Gold als Einzel-Europameister und sieben Mal mit dem Team.

Geboren wurde er 1981 in dem Odenwald-Städtchen Erbach. Überaus geschätzt und beliebt ist er nicht nur wegen seiner überragenden Erfolge, sondern auch wegen seiner Bodenhaftung, Höflichkeit und Bescheidenheit. Er landete mehrfach bei der Wahl zum Sportler des Jahres auf dem Treppchen. Wohl nur die Randsportart an sich verhinderte das oberste.